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DAS HEMD DES GLÜCKLICHEN
von James Krüss
Hans Otto Theater PotsdamKönig / Kaufmann Habersack / Soldat 1: Peter Wagner
Doktor Lux / Soldat 2: Julian Mehne
Vogeljakob / Hauptmann / Diener / Minister: Johannes Heinrichs
Herold / Witwe / Alte Dame / Küster Bellmann: Jennifer Breitrück
Piano / Begleitung: Rita Herzog
Regie: Robert Neumann
Bühne / Kostüm / Video: Silke Pielsticker
Dramaturgie: Nadja Hess
Premiere: 13.09.2016
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Potsdamer Neueste Nachrichten, Sarah Kugler, 15.9.16
– Knallbunte Schattenbilder –
»Auf einmal steht der König kopf. Einfach so läuft er – leise vor sich hin grummelnd – oben am Himmel lang, macht dann kehrt an einer unsichtbaren Ecke, um im nächsten Moment schon wieder den Weg nach unten einzuschlagen. Was wie ausgefeilte Akrobatik klingt, ist in der Inszenierung von James Krüss‘ „Das Hemd des Glücklichen“, die am Dienstag in der Reithalle des Hans Otto Theaters Premiere feierte, simple Theatermagie. Und simpel bedeutet an dieser Stelle ganz und gar nicht einfallslos, im Gegenteil: Schatten- und Bilderprojektionen ermöglichen eine Bühne auf der Bühne. Eine kleine nostalgische Schwarz-Weiß-Welt, die nicht nur einen schlichten Gegensatz zu den knallbunt gehaltenen Kostümen bildet, sondern auch in der Kombination von beidem eine zauberhafte moderne Märchenatmosphäre schafft.
Und so kommt Krüss‘ Geschichte, die mit typischen Märchenmotiven die alte Frage um die Definition von Glück behandelt, ganz und gar nicht altbacken daher. Erzählt wird von einem dicken, jährzornigen König, der schon seit Wochen krank ist und dem niemand helfen kann. Bis ein kluger Doktor kommt und die Lösung weiß: Nur das Hemd eines Glücklichen kann ihn wieder gesund machen. Allerdings erweist sich die Suche nach einem glücklichen Menschen als außerordentlich schwierig, da selbst die scheinbar Zufriedenen von Sorgen, Ängsten und unerfüllten Wünschen geplagt werden. Schließlich muss sich der König höchstpersönlich auf den Weg machen, um sein Heilmittel zu finden. Dabei verliert er nicht nur ein paar Kilo, sondern stellt auch fest, dass sein Reich ganz anders funktioniert, als er sich das vorstellt.
Um die Wanderung durch das Märchenreich auf der Bühne darzustellen, hat Bühnen- und Kostümbildnerin Silke Pielsticker eine Wand der Schlosskulisse zur Leinwand umfunktioniert, die sowohl als Projektionsfläche als auch als Schattenwand genutzt wird.
Und so begleiten fliegende Hähnchen und Hamburger den schnarchenden Schlaf des Königs, Häuserfronten ziehen an den Wanderern vorbei und zoomen beim Näherkommen an die Eingangstür. Das Schöne dabei: Alle Bilder sind naiv gehalten, erscheinen wie alte Bleistift oder Kohlezeichnungen aus einem Kinderbuch und vermitteln dem Zuschauer den Eindruck, er würde selbst von einer Seite zur nächsten blättern. Die Schauspieler dürfen ab und zu genau das tun: Umblättern. Mit einer wischenden Bewegung oder einem Schnipsen lassen sie Bilder auftauchen oder veschwinden. Manchmal werden sie sogar selbst zu Bildern, wenn sie hinter der Wand nur noch als stummer Schatten mit einfachen Gesten ihre Charaktere darstellen müssen. Der reiche Kaufmann wedelt dann gönnerhaft mit der Hand, der Minister kommt stolz gestreckt daher und der Küster schlägt fromm das Kreuz. Jede Figur, jede Botschaft ist sofort und schnörkellos erkennbar.
Schön ist, dass Regisseur Robert Neumann mit dieser Einfachheit sofort wieder bricht, wenn er seine Darsteller aus ihrem Schatten heraus und auf die Bühne treten lässt. Jetzt hat der Küster ein fast futuristisch angehauchtes, ärmelloses Gewand mit einem großen Kreuz darauf an und der Kaufmann kommt in einem grellen Bademantel daher. Am auffälligsten ist der König selbst: Knallgelbe Haarkrone, quietschlila oder -rote Kniestrümpfe und immer ein kleines Entchen in der Tasche. Das Märchenhafte zerstört die grelle Extravaganz keineswegs. Sie führt vielmehr eine andere Ebene ein, ein Augenzwinkern, das zu verstehen gibt: Hier muss nichts allzu ernst genommen werden. Es darf gelacht, getanzt und getobt werden.
Denn genau das tun die Schauspieler, die alle gleich mehrere Rollen übernehmen. Dabei macht es unglaublich viel Spaß etwa Peter Wagner zuzusehen, wie er sich vom tobenden, lauten Tyrannen zum leiseren und lebensfreudigen Herrscher wandelt. Oder wie Julian Mehne sich als schlauer Doktor über seine eigene Gewitztheit freut und Johannes Heinrichs scheinbar mühelos den Spagat zwischen steifem Minister, genervtem Kammerdiener und fröhlichem Vogeljakob schafft. Jennifer Breitrück leitet unter der Begleitung von Rita Herzog am Klavier als Erzählerin, teilweise auch singend, durch das Stück und schaffte es am Dienstag nicht nur, dass die Kinder einen wiederholten Reim mitsprachen, sondern auch ihr Vogellied mit dem eingängigen Refrain „Tiri, tiro, tiri“ mitsangen. Überhaupt wird der junge Zuschauer in diesem Stück die ganze Zeit mitgenommen. Durch den multimedialen Einsatz der Bühne gibt es zwischendurch Verschnaufpausen in den ruhigen Bildern. Gleichzeitig baut sich eine freudige Erwartung auf die nächste Szene auf, in der es dann etwa mit einem Quiz zu Vogelstimmen schnell und flippig weitergeht. Die Multimedialität wird gezielt sowie clever eingesetzt und zeigt auf liebevolle Weise, dass man manchmal eben erst alles auf den Kopf stellen muss, um die Welt begreifbar zu machen.«